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Die Veränderung der Reizverarbeitungsprozesse bei Substanzabhängigkeiten


PD Dr. Sabine Vollstädt-Klein
(Erstautorin der Originalarbeit)
Preisträgerin des Wilhelm Feuerlein Forschungspreises 2012 zur Grundlagenforschung 

Zu Beginn der Entwicklung einer Substanzabhängigkeit stehen hedonische Effekte des Substanzkonsums im Vordergrund, während im späteren Verlauf eher gewohnheitsmäßig oder gar zwanghaft konsumiert wird. Tierstudien konnten zeigen, dass diese Veränderungen mit einem Übergang von präfrontaler kortikaler Kontrolle durch striatale Kontolle einhergehen und außerdem Reizverarbeitungsprozesse sich innerhalb des Striatums von ventral nach dorsal verlagern. Beim Menschen gab es bisher noch keine Untersuchungen zu diesem Thema.

In dieser Studie wurde mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) die neuronale Reizreaktion auf alkoholassoziierte visuelle Stimuli bei 21 schweren Trinkern ohne Behandlungswunsch (darunter 13 mit Alkoholabhängigkeit) und 10 leichten sozialen Trinkern als gesunde Kontrollen untersucht. Außerdem wurde mittels eines Fragebogens das Ausmaß zwanghafter Gedanken und Handlungen im Zusammenhang mit Alkohol erfasst.

Die vorliegende Studie konnte die beschriebenen präklinischen Befunde bestätigen. Schwere Trinker aktivierten in Reaktion auf Alkoholreize eher das dorsale Striatum, während sich bei den Kontrollen mehr Aktivierung im ventralen Striatum und in präfrontalen Arealen zeigte. Dazu passend zeigte sich im ventralen Striatum eine Abnahme der Reizreaktion mit zwanghaftem Alkoholverlangen, während die Aktivierung im dorsalen Striatum mit stärkerem zwanghaftem Alkoholverlangen zunahm.

Die Ergebnisse der Studie sind unter verschiedenen Aspekten als klinisch bedeutsam zu betrachten. Die vorliegenden Daten könnten erklären, warum Medikamente, welche die belohnenden Effekte von Alkohol reduzieren (wie beispielsweise Naltrexon) nur in Subgruppen alkoholabhängiger Patienten wirken. Diese Medikamente könnten vor allem bei nicht-abhängigen schweren Trinkern oder bei Alkoholabhängigen in früheren Stadien wirksam sein, da bei diesen Individuen noch die hedonischen Effekte des Alkohols, repräsentiert durch eine reizinduzierte Aktivierung im ventralen Striatum, im Vordergrund zu stehen scheinen. Frühere Studien zeigten, dass reizinduzierte Hirnaktivierung mit Rückfall assoziiert zu sein scheint. Daher könnte die fMRT-Reizreaktion zum Therapiemonitoring geeigneter sein als beispielsweise Fragebögen zum Alkoholverlangen, da Patienten oft sozial erwünscht antworten.

Es ist geplant, die Befunde dieser Querschnittstudie in einer Longitudinalstudie zu untermauern.


Originalarbeit: "Initial, habitual and compulsive alcohol use is characterized by a shift of cue processing from ventral to dorsal striatum", Addiction 105(10):1741-9.