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Nachbericht Meditation & Wissenschaft 2012

16./17. November 2012

Meditation legt Basis für einen Kulturwandel

Kongress „Meditation & Wissenschaft 2012“: Bewusstseinsentwicklung rückt immer mehr in den gesellschaftlichen Fokus

Die Zeiten, in denen Meditation als eher „exotisches“ Phänomen betrachtet wurde, sind endgültig vorbei. So zeigte der Kongress „Meditation & Wissenschaft 2012“, der am 16./17. November 2012 von der Oberberg Stiftung und der Identity Foundation im Atrium der Deutschen Bank in Berlin veranstaltet wurde und mit 420 Teilnehmenden ausgebucht war, dass die universitär etablierte Bewusstseinsforschung wesentliche Impulse für einen Kulturwandel liefert. Mit den Themen Bildungswesen und Arbeitswelt griff der Kongress zwei Fragestellungen auf, die das Selbstverständnis moderner Gesellschaften im Kern berühren, und vermittelte konkrete Wege, wie den wachsenden Herausforderungen begegnet werden kann.

Bildung ist auch eine Frage der Entfaltung und der persönlichen Kompetenz

Dank G8 und Bologna-Reform wurde die Effizienz des deutschen Bildungssystems in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert, doch diese Funktionalisierung birgt auch Schattenseiten, denn sie erhöht den Stressfaktor für Lehrende und Lernende erheblich und engt mögliche Entfaltungsräume ein. Deshalb plädierte der renommierte Neurowissenschaftler Prof. Dr. Gerald Hüther in seinem Vortrag dafür, Lernprozesse stärker an den wissenschaftlich bereits gut erforschten Voraussetzungen des Gehirns zu orientieren. Die Förderung von Entdeckerfreude und Gestaltungslust, die zu den natürlichen Ressourcen von Kindern zählen, könne nicht nur die Lernmotivation stärken, sondern auch die Basis dafür legen, dass der Prozess des Lernens sich von der reinen Wissensaneignung hin zu einer Kompetenzentfaltung bewege, die Originäres, also Neues schöpfe.

Mit dem Programm „Achtsamkeit in der Schule“ illustrierte die Oberstudienrätin Vera Kaltwasser, dass Übungen zu Meditation und Achtsamkeit es Schülern erleichtern, besser mit Stress im Schulalltag umzugehen und sich zugleich gesünder in ihrem Menschsein zu entfalten. Gleiches gilt, das untermauerte Dr. phil. Nils Altner anhand einer Studie über die Wirkung meditativer Verfahren, für Lehrende, denn Meditation sei nicht nur der Selbstfürsorge zuträglich, sondern versetze Pädagogen auch in die Lage, ihren Unterricht besser an den Bedürfnissen ihrer Schüler zu orientieren.

Praktiken der Stille sind dabei keine Flucht vor dem Alltag, sondern stärken die Fähigkeit, mit der bestehenden Realität konstruktiv umzugehen. So belegte eine Studie von Prof. Dr. med. Tobias Esch über einen Stressmanagement-Kurs an der Hochschule Coburg, dass Studierende, die ein ganzheitliches Programm auf Basis der Body-Mind-Medizin absolvierten, leichter mit den Herausforderungen des universitären Alltags zurecht kommen und eine bessere Lebensqualität aufweisen als ihre Kommilitonen, die nicht mit meditativen Methoden vertraut sind. Letztlich geht es jedoch nicht nur um die Förderung der individuellen Resilienz, sondern auch darum, die Lernkontexte insgesamt ins Visier zu nehmen. Oberstudiendirektor Ernst Fritz-Schubert zeigte mit dem von ihm entwickelten Schulfach Glück, wie sich die Grundsatzfrage nach einem erfüllten und sinnvollen Leben im Curriculum etablieren und so die klassische Zielorientierung im Bildungswesen um Fragen der Entfaltung und des Menschseins erweitern lässt.

Wie wichtig diese Perspektive ist, untermauerte der amerikanische Forscher Richard Davidson, PhD., der in seinem mitreißenden Vortrag Beispiele lieferte für die konsequente Verzahnung von neurowissenschaftlichen und psychologischen Erkenntnissen. Seien es Lernschwächen bei Kindern oder auch traumatische Erlebnisse – wo mit Methoden der Achtsamkeit funktionale und emotionale Aspekte verbunden werden, entstehen konstruktive Strategien, die an die Stelle einer Kompensation von vermeintlichen Defiziten eine wahrhafte Entfaltung menschlicher Potenziale treten lassen.

Von der Kompensation zum Kulturwandel in der Arbeitswelt

Die Frage des Potenzials wird auch in der Arbeitswelt immer virulenter, denn die wachsenden Zahlen an Burn-out-Diagnosen und psychischen Erkrankungen zeigen akuten Handlungsbedarf. So stellte der Schweizer Meditationslehrer Fred von Allmen in seiner Einführung in die Meditation die „befreiende Erkenntnis“, die aus einer Praxis der Stille resultieren kann, ins Zentrum. Eine Perspektive, die im Top-Management durchaus bereits Verbreitung findet, wie Prof. Dr. Eugen Buß in seinem Beitrag über die spirituellen Haltungen von Konzernlenkern darlegte, die sich allerdings erst langsam auch in den Strukturen und der Ausrichtung von Unternehmen auszudrücken beginnt. Dieses Spannungsfeld von Innen und Außen thematisierte auch Prof. Dr. Stefan Schmidt, der in seinem Vortrag der Frage nachging, ob eine Zielorientierung im Hinblick auf Meditation, beispielsweise als Mittel zur Stärkung der eigenen kognitiven Fähigkeiten oder der Belastbarkeit, nicht ein Widerspruch in sich sei, weil hier eine Methode, die von Absichtslosigkeit lebe, nur allzu leicht funktionalisiert werde.

Letztlich ist es die bewusste Synthese beider Pole, die das vermeintliche Dilemma auflösen kann, wie Dr. Reto Diezi in seinem Bericht über ein Achtsamkeitstraining von Führungskräften zeigte, denn gerade in der Beschäftigung mit der Seins-Dimension, für die Meditation steht, verändere sich auch die Einschätzung dessen, was es in der Arbeitswelt wirklich brauche. Und unter diesen Vorzeichen überdeckt Achtsamkeit nicht die Mängel des Bestehenden, sondern legt die Basis für eine konstruktive Weiterentwicklung von Führungs- und Unternehmensstrukturen. Da solche Wandlungsprozesse sich jedoch nicht von heute auf morgen vollziehen, wird Meditation mittelfristig eine wichtige Rolle als Weg der (Selbst-)Heilung spielen. Wo Menschen durch Stress krank werden, das illustrierte Prof. Dr. med. Gustav J. Dobos mit seinen Fallstudien zur Wiederherstellung der Regulationsfähigkeit auf Basis von Achtsamkeitsmethoden, stellt jede Praxis, die Gesundung erleichtert, einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar.

Risiken nicht ausblenden und (selbst)verantwortlich handeln

Bei allen segensreichen Wirkungen der Meditation, die wissenschaftlich inzwischen dokumentiert sind, stellt sich indes auch die Frage, wo die Grenzen von Achtsamkeitspraktiken liegen. So skizzierten Dr. Ulrich Ott und Prof. Dr. Hans Förstl, dass es bei Menschen, die in ihrer Ich-Stärke beeinträchtigt sind oder die unter psychischen Vorerkrankungen leiden, durch Meditation zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen könne. Dr. Michael Utsch und Dr. Alexander Poraj wiederum zeigten den Bedarf auf, Qualitätsrichtlinien für Meditationslehrer zu entwickeln und die Rahmenbedingungen, unter denen Meditation unterrichtet wird, zu validieren.

Da die Forschung hierzu noch in den Kinderschuhen steckt, hat die (Selbst)Verantwortung der Lehrenden und Übenden hier einen besonders hohen Stellenwert – ein Themenfeld, das sich auch in der von Gert Scobel moderierten Podiumsdiskussion zu einer neuen Bewusstseinskultur herauskristallisierte. So berichtete der Fernsehjournalist Joachim Faulstich von einem Filmprojekt über Meditation und Heilung, bei dem sich gezeigt hatte, dass die gesundheitsfördernde Wirkung von Achtsamkeitspraktiken immer in einen komplexen Kontext individueller Lebensgestaltung eingebettet ist, Achtsamkeit also ihre Relevanz nicht zuletzt durch die Übenden selbst entfaltet. Damit der Einzelne in diesem Erkenntnisprozess nicht auf sich selbst zurückgeworfen ist, hat Prof. Dipl.-Ing. Martin Meusburger im Vorarlberg beispielsweise eine Plattform initiiert, die Managern mittelständischer Unternehmen Weiterbildungen und den Austausch zum Thema Achtsamkeit im Business ermöglicht.

Diese wechselseitige Bezugnahme von persönlicher und gesellschaftlicher Veränderung gewinnt auch in den Augen von Prof. Dr. med. Götz Mundle immer mehr an Bedeutung, damit Meditation nicht zum therapeutischen Kompensationsmechanismus wird, sondern ein konstruktiver Kulturwandel einsetzen kann, der grundsätzliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen langfristig verändert. Eine Veränderung, die – und damit schloss die Zen-Meisterin Dr. Anna Gamma den Kreis – gerade dann neue Impulse erfährt, wenn es Meditierenden gelingt, sich durch ihre Praxis der Stille nicht nur innerlich weiterzuentwickeln, sondern ihre Einsichten auch bewusst in die Gestaltung ihres Alltags zu integrieren und damit auch im Außen einen Unterschied zu machen.

Insgesamt markierte der Kongress Meditation & Wissenschaft den Brückenschlag von der wissenschaftlichen Erkenntnis zur konkreten Lebenspraxis, vom Wissen zum Werden. Die Herausforderungen der Gegenwart legen die Dringlichkeit einer neuen Bewusstseinskultur nahe, und die zahlreichen Praxisbeispiele des Kongresses zeigen, dass diese neue Kultur bereits aus der Mitte der Gesellschaft heraus Konturen entwickelt.   (Dr. Nadja Rosmann)

 

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